
Die Nachrichten der letzten Tagen verfolge ich akribisch, zumal meine alte Heimat ins grelle Rampenlicht gerückt wurde.
Ich habe mich in den letzten Tagen oft gefragt, wieso ausgerechnet Belgien als Terrorhafen für die Anschläge in Paris diente. Abschließende Erklärungen kann ich hierfür natürlich nicht liefern, aber die Unübersichtlichkeit der Verwaltungsstellen, die in Belgien durch die politische Aufteilung des Landes verursacht wird und die typisch belgische "Laisser-faire"-Haltung sind meiner Meinung nach zwei Faktoren, die es ermöglichten, dass einige Radikale von hier aus agieren konnten.
Schon alleine in Brüssel ist die Sicherheitsüberprüfung in 19 Gemeinden und 6 Polizeizonen aufgeteilt. Eine Zusammenarbeit der einzelnen Dienststellen ist dadurch sehr kompliziert und Chaos ist vorprogrammiert. Und diese chaotischer Zustände ziehen sich durch die ganze Gesellschaft. Nichts ist einheitlich. Belgien ist Chaos pur, von der Verwaltung, über die Politik, über den Zustand der Hintergärten, wenn man so will... Belgien ist die Rumpelkammer Europas. Fast jede Familie kennt so ein Familienmitglied, das als Messie durchgehen könnte. Dieser Messie-Onkel in Europa heißt Belgien.
"Ach, da gibt es ein Problem? Ach, leg das doch mal dahin. Ich kümmere mich dann später darum." Dazu kommt noch die belgische Ach-es-wird-schon-alles-nicht-so-schlimm-sein-Haltung. "Der Schüler aus Sint-Jans-Molenbeek hat sich im letzten Jahr radikalisiert? Och, jetzt übertreib mal nicht. Das wächst sich schon heraus"...
Ja, ihr lacht, aber das ist die typisch belgische Haltung, wie ich sie kenne und was im Ausland liebevoll als "gemütlich" tituliert wird. Ein gewisses Maß an Gelassenheit und Gemütlichkeit ist ja auch toll, aber nur solange es keine wirklichen Probleme gibt. Wenn's Probleme gibt, dann schlägt die Gemütlichkeit gerne mal in Planlosigkeit um.
Schon in den 90ern als ich noch in Brüssel gelebt habe, gab es den Schwarzen Sonntag, wo die rechtsradikale Partei, die damals Vlaams Blok hieß (heute: Vlaams Belang) plötzlich mehrheitsfähig war. Wir waren damals noch schockiert, aber schoben dieses Ergebnis auf die allgemeine Wahlpflicht in Belgien. "Das wächst sich schon heraus"... Nein, tat es nicht. Het Vlaams Belang ist immer noch da und organisiert in Antwerpen sogar Pediga-Demos! Und dann heißt es: "Die Flüchtlinge sind schuld... Einer der Attentäter ist als Flüchtling eingereist!"
Leute, wenn einer sich als Nonne verkleidet und mit einer Gruppe Nonnen hierher kommt, sind dann alle Nonnen Terroristen???? Der Attentäter war ein "Trojanischer Flüchtling" und hat sich als Flüchtling getarnt unter die Fliehenden gemischt, aber das macht ihn noch lange nicht selbst zum Flüchtling...
Wir dürfen nicht vergessen, dass viele Menschen, die in den letzten Wochen und Monaten nach Europa gekommen sind, auf der Flucht vor radikalen Glaubenskriegern waren. Sie haben ihr Leben auf "Nussschalen" riskiert, um das Mittelmeer zu überqueren, mussten Angst um ihr Leben haben, sowohl in ihrer alten Heimat, in dem sie alles zurücklassen mussten als auch während der Flucht... Was sie am Leben gehalten hat, war die Hoffnung, es zu schaffen (... leider haben es aber nicht alle geschafft...) und die Hoffnung, hier bei uns eine Basis zu finden, um Neues aufzubauen und um in die Zukunft zu sehen.
Mit dem Wissen, der Sprache und der Motivation dieser neuen europäischen Mitbürger können wir uns Hoffnung machen, dass es bald mehr (dringend gesuchte) arabischsprachige Dolmetscher, Übersetzer, Ermittler (z.B. zum Aufdecken von Anschlagsplänen) geben wird, aber auch Sozialarbeiter, die eine mögliche Radikalisierung in den Moscheen, in Schulen etc. vorbeugen können.
Daher gilt mein Beitrag heute der Hoffnung und nicht der Angst.