Sonntag, 22. Januar 2017

Like a bridge over troubled water...


Zwar mag ich Facebook nur bedingt und am wenigsten mag ich die floskelartigen Sprüche, die offenbar jeder gerne postet: Lebensweisheiten oder manchmal auch nur abgedroschene Redewendungen, aber manchmal postet jemand doch mal so einen Spruch, der mich tagelang nicht in Ruhe lässt... Der letzte Sinnspruch, der mir als eine Art Gedankenohrwurm durch die Woche begleitete, ging ungefähr wie folgt: "Menschen, die mich so zum Lachen bringen, dass es mir am Ende körperlich weh tut, sind mir am liebsten"... Nicht, dass ich auf SM stehe (dafür bin ich zu schmerzempfindlich... Aua), aber diese Lachkrämpfe, die einem Tränen in die Augen jagen und einen Muskelkater im Bauch verursachen, die haben schon was... Und jemand, der das konnte, war R.

Konnte, denn er verstarb vor 5 Jahren. Wir waren knappe 11 Jahre zusammen. Ich vermisse ihn sehr. Immer noch, jeden Tag... Ich bin sonst nicht so für meine persönlichen Blogbeiträge bekannt und Persönliches mitzuteilen kann in der Bloggerwelt auch nach hinten losgehen, aber hey, no risk, no fun und das hier gehört für mich zur Trauerbewältigung dazu. Ich hab's lange genug mit Verdrängen versucht... klappt aber nicht auf Dauer...

R. war meine große Liebe und ist eine Woche nachdem wir uns kennengelernt hatten, in die Entgiftung und Kurzzeittherapie gegangen, wo wir auch die Jahrtausendwende zusammen gefeiert haben. Bleigießen mit ehemals Drogenabhängigen hat schon auch ein bisschen was von Situationskomik....

Wir haben uns gegenseitig motiviert: Er mich, mein Studium zu beenden und den Sprung in die Selbstständigkeit mit dem Siebdrucken zu wagen, ich ihn sein abgebrochenes Studium wieder aufzugreifen und die Sucht in den Griff zu bekommen. Wir haben zusammen Linguistikseminare besucht, waren zusammen auf Konzerte (EA80 in der Fettecke war ein Highlight) und Demos, hatten Spaß als ein Filmteam in seiner WG unsere schräge Balkonbegrünung ("wir kaufen drei: Zwei sterben, einer überlebt") ins Fernsehen brachte,  haben die freie Natur zusammen genossen (5 Stunden ununterbrochen Kanufahren mitten auf dem Kummerower See, weil die Strömung so stark war, dass wir nicht anhalten konnten war so ein unvergesslicher Moment - ein 5-stündiger... ).

Auch unvergesslich: Zusammen "You'll never walk alone" im Anfield Stadion in Liverpool mitsingen und tags danach 5 Stunden im Liverpooler Krankenhaus ausharren, weil ich ausgerechnet auf der "Ferry across the Mersey" einen Hexenschuss bekommen musste und nicht lachen durfte, weil alles weh tat). Und dann die Stunden über Stunden in denen wir uns Geschichten ausgedacht haben, unsere Fantasie freien Lauf gelassen haben und uns die Bälle zugespielt haben. Bei keinem Menschen durfte ich ungestraft soviel Blödsinn verzapfen und habe ich so viel Sprachwitz und Wortfantasie zurück bekommen... Und auch bei keinem Menschen habe ich später noch die Geduld gehabt, eine Stunde lang am Telefon einer begeisterten Abhandlung über die Spanische Conquista für sein Geschichtsstudium zuzuhören... (nicht, dass ich je wieder in die Gelegenheit kam...).

Aber das sind alles Anekdoten, die einen Menschen nicht annähernd in seiner Vielfältigkeit beschreiben können.



R. war der faszinierendste, intelligenteste, mitfühlendste und humorvollste Mensch, den ich je kennenlernen durfte (womit bewiesen wäre, dass Gegensätze sich anziehen... hehe) und wir hatten einen Wohnwagen zusammen. Das war unsere Flucht aus dieser hektischen Stadt. Die bisher schönsten Jahre meines Lebens habe ich dort mit ihm verbracht. Wir hatten schwere Zeiten, keine Frage, denn ein Mensch mit einer Drogenvergangenheit ist kein Rundum-Sorglos-Paket, aber er war es wert, auch die Schattenseiten in Kauf zu nehmen. In guten wie in schlechten Zeiten eben.


Und deshalb wollte ich hier die für mich schönste Brücke meines Lebens vorstellen, weil sie so speziell und so einzigartig ist/war wie R.: Die Brücke bei Albrechts Teerofen.

Albrechts Teerofen heißt die Straße, an dessen Ende das Pachtgrundstück mit unserem damaligen Wohnwagen stand, direkt am historischen Grenzübergang am Teltowkanal; ein Zipfelchen Berlin umgeben von Brandenburger Wald und eine Brücke, die nun nicht mehr befahren wird, sondern Wildwuchs toleriert und nur noch eine grüne Grenze zwischen Berlin und Brandenburg bildet.





Danke, Herr Ackerbau, für die Anregung am Tag der urbanen Schönheit, Brücken zu zeigen und mit den Erinnerungen an meine Lieblingsbrücke meine sentimentalen Gedanken hier mal nieder zu schreiben.

Ich habe fertig.

Bald werde ich hoffentlich wieder den Mut zusammen raffen und die Brücke am Teerofen besuchen. Die Sehnsucht ist auf jeden Fall da und mit ihr leider auch noch eine ganze Zeit lang die Trauer, die mich immer wieder unerwartet am Schlafittchen packen wird... Und irgendwann wird auch der Schmerz weniger werden. Die schönen Erinnerungen werden mir dabei helfen. Da bin ich mir sicher.


Verlinkt bei Herrn Ackerbau.

9 Kommentare:

  1. Liebe Anne-Marie, danke für die Fotos und die Geschichte. Das ist dann eine ganz besondere Brücke. Liebe Grüße, Andreas

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  2. JEPP, ich bin so eine Zitatentussi...zwinker:

    Erinnerung, du Wächter des Gehirns.

    William Shakespeare

    *wasfüreinehimmlischeBrückengeschichtezuvonDeinem♥HERZEN*

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  3. R. ist eh der schönste Buchstabe im Alphabet *aus eigener Erfahrung spricht* ;-) Schön, dass Du ihm hier einen Platz gegeben hast, er wird es zu schätzen wissen.

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  4. So schmerzlich-schöne Erinnerungen, danke fürs Teilen mit uns!

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  5. Danke, ihr Lieben. Danke für das Mitgefühl...

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  6. Was für eine wunderbare Erinnerung :-)
    Vielen Dank.

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  7. Danke fürs Teilen, sehr berührend ...

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