Montag, 20. April 2015

Herz am Montag / Gefängnis Herz

Dem Berliner Hauptbahnhof gegenüber ist eine kleine grüne Oase, die von hohen Mauern geschützt wird. Ich empfinde den Ort als imponierend und zugleich bedrückend, denn diese Mauern waren zu seiner Zeit die Mauern eines Gefängnisses. Sie umgeben nun den Geschichtspark Ehemaliges Zellengefängnis Moabit.

Die Geschichte ist wirklich erschütternd. Man wird an den Eingängen eingehend über die Architektur, die Gestaltung und auch über die Geschichte und die Gräuel, die dahinter vor der Außenwelt verborgen blieben, aufgeklärt.

Dieses Gefängnis, das Mitte des 19. Jh errichtet wurde, hatte nämlich eine besondere Devise. Sie lautete: Läuterung statt Strafe. Der Gedanke dahinter war, dass "Kriminalität" ansteckend sei und dass man durch Einzelhaft die Insassen heilen konnte. Daher gab es keine Gemeinschaftszellen, die bis dahin üblich waren, sondern Einzelzellen. Sogar der Hofgang des Zellengefängnisses war entsprechend reguliert. Bis 1910 waren die Spazierhöfe in Einzelhöfen unterteilt, die von hohen Mauern umgeben waren, so dass der Einzelhaft zu jeder Zeit eine Isolationshaft bedeutete. Folter pur also.

Während der Nazizeit kam es noch schlimmer. Kein Wunder...
Von 360 registrierten Insassen zwischen Oktober 1944 und April 1945 habe nur 35 überlebt. Viele davon waren politische Gefangene, die in den letzten Kriegstagen erschossen wurden, um Zeugenaussagen zu verhindern.

Heute findet man in dem Geschichtspark eine nachgebildete begehbare Einzelzelle. Wenn man diese betritt, hört man einige Sonate, die Albrecht Haushofer während seiner Haft verfasst hat. (Ich hab's leider nicht getestet, denn ich las erst im Nachhinein über diese Besonderheit...). Es befindet sich dort ebenfalls eine erhalten gebliebene Gefängniswand mit einer schieren Wucht an Wörtern: Ein Fragment aus Haushofers Gedicht "in Fesseln".

Von allem Leid, das diesen Bau erfüllt, ist unter Mauerwerk und Eisengittern ein Hauch lebendig, ein geheimes Zittern... (Albrecht Haushofer: "In Fesseln")
Er hat die Haftzeit übrigens nicht überlebt...

Und just wenn man das Deprimierende dieses Ortes mehr und mehr und fast zuviel zu spüren bekommt, findet man zwischen den Mauern ironischerweise noch eine Mauer oder besser gesagt, eine Wand: Eine Kletterwand. Und eine Sitzmauer. Die wurden unter Anleitung der Bildhauerin Bärbel Rothhaar mit Kindern und Anwohnern gestaltet. Passenderweise wurde das Thema Schlüssel als Gestaltungsthema gewählt.

Und dort fand ich letzten Freitag drei Herzen: drei Teilstücke der Kletterwand. Das erste Herz liegt zwar in Ketten, ist aber nicht verschlossen und kann jederzeit geöffnet werden. Das zweite Herz liegt tiefer, ist unauffälliger, aber ist die erste Stütze, die man beim Hürdennehmen braucht. Das dritte Herz ist fest verankert, gibt Halt und ist nur von der Rückseite zu sehen: Ein geheimes Herz. Das finde ich alles in allem eine sehr, sehr schöne Symbolik für diesen eigentlich grausamen Ort.

Das Gefängnis wurde übrigens nach dem 2. Weltkrieg noch von den Alliierten als Hinrichtungsort verwendet und erst 1955 abgerissen. Erst 2006 wurde der Geschichtspark eröffnet.


Mehr Herzen gibt es auch heute wieder bei den Fredissimas.



13 Kommentare:

  1. Es ist etwas sehr Großes,
    ein freies Herz und ein ruhiges Gewissen zu haben.

    Teresa von Avila (1515 - 1582) *♥tiefgehendinformativererBeitragmitmeditativenFotos...TOLL*

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  2. Was ein packender Beitrag- vielen Dank dafür!

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  3. Eins, zwei, drei,
    lasst die Gefangenen frei.
    Man braucht keine Gefängnisse, um lebendig eingemauert zu sein.

    Viele Grüße aus
    der Depression

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    1. Das Zitat kenne ich noch nicht... LOL... Du musst mehr Glückskekse essen. Dann verschwindet auch die Depression.... *schwört*

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    2. Das ist ja auch ein Geheimzitat, von mir.
      Wenn man sich vor Bauchweh, von den Betonglückskeksen, krümmt, ist alles wieder gut.

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    3. HUMOR = auch eine gute Medizin ;-) *ausErfahrungsprech*

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  4. Herzen im verborgendsten Winkel, sehr anrührend dein beitrag, vor allem passt er so gut zu den heutigen Nachrichten mit den fehlern des FBI ....
    Das war wirklich herzlos
    Herzliche Päuschengrüße!

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    1. Die fehlerhaften Haaranalysen?
      http://taz.de/Schwere-Fehler-beim-FBI/!158450/

      Ja, das ist unglaublich... Deswegen bin ich auch gegen die Todesstrafe, denn es passieren einfach zu viele Fehler bei den Verurteilungen...

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  5. Sehr anrührende Herzen, Frau Kirsche!

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  6. toll gefunden, ge- und beschrieben !
    komm gut in die neue woche.
    lg mickey

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  7. Vielen Dank für die Kommentare! Freut mich, dass euch der Beitrag auch gefallen hat...

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